Und da draußen, da
brennt Kiew.
Denke
ich, als ich die Nachrichten sehe. Die Bilder dort zeigen einen
brennenden Platz, wie aus einem Endzeitszenario, es ist von
Polizeigewalt die Rede, von toten, tausenden Verletzten. Es sind
Szenen, wie man sie aus anderen Ländern, in den letzten Jahren
vorallem aus der arabischen Welt kennt. Ich ertappe mich bei dem
Gedanken „Aber doch nicht in Europa“, in der wahnwitzigen
Annahme, dass Europa so etwas wie Polizeigewalt und gewaltsamen
Protest lange abgelegt hätte, was nun so nicht stimmt. Mir huscht
ein zynisches Schmunzeln über die Lippen, bei dem Gedanken, dass
unser Europa ein Grund für diesen Protest war. Die Menschen wollten
dazu gehören, zu unserem Europa, haben auf diesem Platz seit Wochen
ausgeharrt, um an der Europäischen Idee teilzuhaben, einem Europa,
dass wir so oft mit Füßen treten und von den verrückten in Brüssel
reden. Ich mag dieses Europa, die Ideen, auf denen es erbaut ist,
dass wir doch zusammen so viel stärker sind, als alleine, Freiheit,
und Demokratie.
Und da
draußen, da brennt Kiew.
Weil
tausende zu diesen Ideen hin wollen, sich nicht von Russland
drangsalieren lassen wollen und deswegen zu Schlachten mit der
Polizei verdammt sind. Welch eine Protestkultur, die so viele
Menschen auf die Straßen gegen einen Präsidenten auf dem falschen
Pfad schickt, eine Protestkultur, die man uns deutschen so oft
abspricht. Auf der anderen Seite steht die einzige Regierungschefin,
gegen die wir haben, für so wenig Inhalt, dass man beileibe kaum
einen Ansatzpunkt für so einen Protest fände. Aber wir finden
andere Gründe. Ich muss an die Proteste in Hamburg denken, Menschen
protestieren für die Rote Flora und für Asylbewerber, der Konflikt
eskaliert, eine Gefahrenzone wird ausgerufen. Ich muss daran denken,
dass ich damals kurz nach den Protesten einen Auftritt in Hamburg in
unmittelbarer nähe zur roten Flora hatte, und dass ich die Stimmung
dort als bedrohlich empfand, obgleich mich faszinierte, wie politisch
die Menschen in Hamburg sind. Sie sind ein Beispiel dafür, dass so
etwas wie Politikverdrossenheit nicht existiert, höchstens
Politikerverdrossenheit, oder Systemverdrossenheit.
Und da
draußen, da brennt Kiew.
Und
ich kann die Eskalation nicht gut heißen, nicht in Kiew, nicht in
Hamburg, nirgends. Als Pazifist verabscheue ich die Gewalt, betrachte
sie als überflüssig, und würde sich jeder daran halten, gäbe es
auch keine Gewalt, aber das ist wohl nur ein Traum. Aber dennoch ist
die Idee des gewaltlosen Protestes eine wichtige, die uns immer
bewusst sein muss, als Ausdruck des Willen des Volkes im Sinne der
Gerechtigkeit.
Und da
draußen, da brennt Kiew.
Und es
soll uns ein Mahnmal sein, dass Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und
Frieden im eigenen Land keine Selbstverständlichkeit sind, und dass
beide Seiten, Staat und Volk, immer wieder dafür kämpfen müssen,
dies zu erhalten. Bertholt Brecht schrieb: „Wo Unrecht zu Recht
wird, wird Widerstand zur Pflicht“, und Gandhi lehrte uns den
Erfolg des gewaltlosen Protestes. Und das sollten wir bedenken, um
unser aller Willen, damit wir nicht wie die Ukraine in ein korruptes
System verfallen, damit nicht bald Berlin brennt.
Und am
Ende bleibt die Frage, was können wir für die Menschen in der
Ukraine tun. Nicht viel, wir können uns solidarisch zeigen, Druck
auf unsere Regierung ausüben, damit die Druck auf die Regierung der
Ukraine ausübt.
Denn
da draußen, da brennt Kiew.
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